Die Ausgangslage
Armeechef Thomas Süssli forderte den Armeebestand um 20’000 Soldaten zu erhöhen. Die Armee spricht schon seit mehreren Jahren von einem «Alimentierungsproblem», wobei jedoch nach wie vor Erklärungsbedarf besteht. Im Dezember 2022 berichtete die Republik, dass die Armee ab dem 01.01.2023 widerrechtlich zu gross sein wird. Gemäss den Reaktionen, war das offenbar weder Politiker*innen noch der VBS-Administration wirklich bewusst.
Der vorgegebene Sollbestand der Armee beträgt 100’000 Angehörige. Damit diese im Fall einer Mobilmachung sichergestellt werden kann, wird der Effektivbestand mit dem Faktor 1.4 gerechnet. Das bedeutet also einen Effektivbestand von höchstens 140’000 Angehörigen, was in Artikel 1 der Verordnung über die Organisation der Armee so festgehalten wird. 2017 erliess der Bundesrat Massnahmen, dass die Armee nicht zu gross wird. Da dessen Wirkung eine Weile dauert, wurde eine Übergangsbestimmung beschlossen, wonach ein temporärer Überbestand der Armee legitimiert wurde. Dieser Zustand endete jedoch am 31.12.2022, was in Artikel 151 des Militärgesetzes steht.
Zum Termin der Armeeauszählung im März 2023 betrug der Effektivbestand 151’299 Angehörige. Seit dem 01.01.2023 ist die Armee widerrechtlich zu gross und der Bundesrat verstösst damit gegen das Legalitätsprinzip.
Die Prognosen des VBS zum Armeebestand sind nicht nachvollziehbar:
- Das VBS wies im Rahmen des Republik-Artikels folgende Prognosen zum Effektivbestand aus: 2024-2028 157’000, 2030 123’000. Das wäre eine Abnahme von 34’000 Angehörigen von 2028 gegenüber 2030. Aufgrund einer Massnahme werden zwei Jahrgänge bis 2030 zusätzlich entlassen, das VBS rechnet mit 12’000 Angehörigen pro Jahrgang (also insgesamt 24’000 zusätzliche Abgänge). Damit bleibt eine Differenz von 10’000 Angehörigen, die jedoch nicht begründet wird.
- Ebenso unerklärt ist, wieso die beiden Jahrgänge 12’000 Angehörige betragen werden, in den letzten Jahren betrugen sie zwischen 7’000 und 8’000.
- Weshalb der Armeebestand von 2024-2028 bei 157’000 sich stabilisieren und nicht weitere wachsen soll, wurde ebenfalls nie begründet. Seit 2018 wuchs der Effektivbestand jährlich um ca. 4’000 Angehörige, was sich aus einem simplen Überschuss der Zugänge gegenüber den Abgängen ergibt.
- Parameter wie die Bevölkerungsentwicklung weisen auf ein weiteres Wachstum hin.
- Die Abgänge in den Zivildienst haben sich in den letzten Jahren stabilisiert, auch da ist nicht mit einer grossen Zunahme zu rechnen.
Rechnet man mit den bisherigen Durchschnittswerten (jährlicher Zuwachs von ca. 4’000, zusätzlich entlassene Jahrgänge von insgesamt 24’000 Angehörigen) so kommt man bis 2030 auf einen Effektivbestand von 154’000, wobei das VBS ohne klare Begründung von 123’000 ausgeht.
Da die abtretenden Jahrgänge wie gesagt in den letzten Jahren zwischen 7’000 und 8’000 Angehörige betrugen, scheinen 12’000 Leute pro Jahrgang eine sehr pessimistische Prognose zu sein. Nimmt man als «Kompromiss» 10’000 Leute pro Jahrgang, was immer noch sehr hoch ist, würde der Effektivbestand 2030 sogar 159’000 betragen.
Anders formuliert: Damit die Prognose des VBS stimmt (Effektivbestand von 123’000 bis 2030), müsste folgendes geschehen:
- Es gibt ab jetzt bis 2028 im Total keinen Zuwachs beim Effektivbestand (was es seit 2018 immer gab)
- Es werden pro Jahrgang tatsächlich 12’000 Personen entlassen (2022 waren es weniger als 8000)
- 2028 und 2029 springen je ca. 5000 Personen mehr (zusätzlich zu den üblichen jährlichen Abgängen) vorzeitig aus medizinischen Gründen oder in den Zivildienst ab. Die ordentlichen Entlassungen sind in dieser Berechnung bereits enthalten.
Zu all dem kommt hinzu, dass Personen im Durchdienermodell nach wie vor nicht zum Effektivbestand zählen. Das wären aktuell ca. um die 24’000 Personen.
Fazit: Die Armee legte nie klare und nachvollziehbare Berechnungen oder eine Stellungnahme zu diesen Nachrechnungen vor. Wenn sie bis 2030 gar nichts unternehmen würde, müsste sie sich weiterhin Gedanken um den widerrechtlichen Überbestand machen, aber nicht zu einem drohenden Unterbestand.
Aktuelle Entwicklungen
Um den drohenden Überbestand zu reduzieren und wieder einen legalen Zustand zu erreichen, schlug das VBS vor, die genannten zusätzlichen Entlassungen von insgesamt 24’000 Personen früher vorzunehmen. Der Bundesrat lehnte das jedoch ab und schickte stattdessen eine Gesetzesänderung in die Vernehmlassung, welche eine Abweichung vom Maximalbestand über einige Jahre erlauben soll.
Die Republik deckte auf, dass die Armee die Transparenz noch stärker verhindert:
- Es wird für das Jahr 2023 keine Armeeauszählung geben. Damit wird auch die Nachvollziehbarkeit für die Öffentlichkeit verunmöglicht.
- Bekanntgegeben wurde lediglich, dass der Effektivbestand aktuell 147’000 Angehörige zählt. Dies bedeutet eine Reduktion um ca. 4’000 Angehörige.
- Es wäre naheliegend zu denken, dass es seit mehreren Jahren erstmals mehr Abgänge als Zugänge gab. In Wahrheit hat die Armee die abtretenden Jahrgänge anstatt Ende Jahr bereits Anfang Jahr von der Zahl abgezogen. Das ergibt der Mailwechsel der Republik mit dem VBS.
- Die Armee rechnet ihren Effektivbestand also künstlich klein. Real dürfte er aktuell bei ca. 155’000 liegen.
Uns ist bewusst, dass dies eine grosse Zahlenbeigerei und eine relativ komplexe Sache ist. Wir haben in einem ausführlichen Beitrag versucht, die Geschichte möglichst nachvollziehbar darzustellen. Zudem sind die beiden Artikel der Republik vom Dezember 2022 und vom Januar 2024 sehr aufschlussreich. Wir würden uns über eine Konsultation dieser Berichte freuen!
Zum Schluss sein zu erwähnen, dass die Schweiz über ein Massenheer verfügt und im internationalen Vergleich eine sehr grosse Armee hat. Dies zeigt folgende Grafik, als Messzahl wurden die Anzahl Armeeangehöriger auf 1000 Einwohner*innen verwendet: