Armeebudget erhöhen?

Nicht mit uns!

Keine Schweizer Waffen für die Kriege dieser Welt!

Der Ukraine-Krieg und die “veränderte Sicherheitslage” (Zitat Bundesrat) hat nicht nur eine massive Auswirkung auf das überbordende Armeebudget, sondern sorgte bisher auch für einen Angriff auf das Kriegsmaterialgesetz – und zwar an mehreren Fronten. Das Perfide: Keine der bisher geplanten Änderungen würde der Ukraine überhaupt zugutekommen.

Vorab muss immer angemerkt werden: Wir würden in der Schweiz keine Diskussion über Kriegsmaterial-Exporte führen, wenn diese gar keine Kriegsmaterial-Produktion zulassen würde, wie es die GSoA naturgemäss fordert. Doch diese ist nun mal da und die Schweizer Rüstungsindustrie ist noch dazu exportorientiert, weshalb wir uns mit dem Thema Kriegsmaterialexporte sehr rege beschäftigen müssen.

Der Gegenvorschlag der Korrektur-Initiative war kaum in trockenen Tüchern – das verschärfte Kriegsmaterialgesetz trat im Mai 2022 in Kraft – nahmen bürgerliche Politiker*innen den Krieg in der Ukraine zum Anlass, die neuerliche Verschärfung des Kriegsmaterialgesetz erneut zu lockern. Ganz nach Naomi Kleins berühmter Schocktherapie nutzte die bürgerlich dominierte Sicherheitskommission des Ständerates im Jahr 2022 lehrbuchartig die Situation aus und reichte eine Motion ein, welche die Errungenschaft der Korrektur-Initiative in einem entscheidenden Punkt rückgängig machen will. Dieser Punkt (Artikel 22b KMG, Einführung Sonderkompetenz) hätte dem Bundesrat massiv mehr Spielraum gegeben und folglich das Parlament ein Stück weit entmachtet. Der Bundesrat beschreibt den Vorschlag in seiner Erläuterung zur entsprechenden Vernehmlassung unverfroren mit den folgenden Worten: “Die Motion greift den ursprünglichen Vorschlag auf, den der Bundesrat im März 2021 in seinem indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)» unterbreitet hatte. Dieser Vorschlag hatte damals im Parlament jedoch keine Mehrheit gefunden.” Dabei verschweigt er taktisch, dass exakt der Verzicht auf diesen Vorschlag für das Initiativkomitee der Korrektur-Initiative ausschlaggebend war, die eigene Initiative zugunsten des Gegenvorschlags zurückzuziehen. Kurz: Kaum ein Monat nach Inkrafttreten einer Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes (KMG) und noch in derselben Legislatur versucht das bürgerliche Parlament auf Wunsch von Bundesrat und Rüstungsindustrie das KMG wieder zu lockern. Demokratie – quo vadis?

Klammerbemerkung: Noch abstruser wird es, wenn man sich überlegt, dass diese Lockerung durch das Parlament überhaupt erst durch den Gegenvorschlag zur Korrektur-Initiative möglich wurde, da dieser die Regelungen zum Kriegsmaterial überhaupt erst auf Gesetzesebene hievte, was vorher auf Verordnungsebene noch dem Bundesrat vorbehalten war.

Auch nebst den demokratiepolitischen Gründen, die vor allem Kopfschütteln auslösen, gibt es auch noch triftige Gründe, wieso diese Lockerung inhaltlich absolut verwerflich ist – und vor allem mit der Ukraine überhaupt nichts zu tun hat.


Unklarer Anwendungsbereich

Die erwähnte Sonderkompetenz (Artikel 22b KMG), die nun eben doch eingeführt werden soll, würde es dem Bundesrat erlauben, bei «ausserordentlichen Umständen» oder für die Wahrung der «aussen- und sicherheitspolitischen Interessen» von den aktuellen Exportbestimmungen abzuweichen. Das ist ein Freipass für den Bundesrat, Kriegsmaterialexporte in Länder zuzulassen, die sowohl aus unserer Warte als auch aus Menschenrechtsperspektive so nie beliefert werden dürften. Es gibt so auch keinen Grund zur Annahme, dass der Bundesrat diese Klausel nicht oder nur zurückhaltend anwenden sollte, hatte er doch in der Vergangenheit immer ein offenes Ohr für die Rüstungsindustrie oder kein Gespür für heikle kriegerische Auseinandersetzungen. Anders formuliert: Der Anwendungsbereich dieser Sonderkompetenz bleibt schwammig und unbegründet. Von einem “klaren Rechtsrahmen” kann beim besten Willen keine Rede sein. Was hingegen sehr klar ist: Von dieser Sonderkompetenz kann für allfällige Waffenlieferungen in die Ukraine nicht Gebrauch gemacht werden, denn hier stehen militärische Neutralität und die allgemein sehr hohe Zustimmung zur Schweizer Neutralität im Weg. Entsprechend dient – wie eingangs erwähnt – die Ukraine als Grund für diese Lockerung nichts anderes als eine Ausrede.


Profit über Humanitarismus

Eigentlich müsste die Summe der oben genannten Argumente ausreichen, um eine solche Lockerung bachab zu schicken. Doch nicht zuletzt offenbart diese Lockerung die Haltung des Bundesrates: Jedes Geschäft, das der Schweiz dienlich ist und von dem sie profitiert, ist gut, auch wenn es das Geschäft mit dem Tod ist. Kommt dazu, dass schon heute Kriegsmaterial in Kriegen in aller Welt auftauchen, sei es als Dual-Use-Gut in russischen Kriegsmaschinen oder die jährlichen Exporte (Ersatzteile etc.) nach Saudi-Arabien, die tatsächlich noch legal sind. Die Argumentation des Bundesrat macht die Angelegenheit noch heuchlerischer: Die Rüstungsindustrie sei gegenüber europäischen Nachbarländer benachteiligt durch strenge Exportregulierungen. Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn man als Land mit humanitärer Tradition einfach mal stolz darauf ist, im Gegensatz zu anderen Ländern, das Geschäft mit Krieg und Tod zu regulieren. Noch weiter gedacht: Man müsste sich doch eigentlich darüber echauffieren, dass die Nachbarländer dieses blutige Spiel mit einem race-to-the-bottom in Sachen Kriegsmaterial-Regulierungen anheizen. 

Jedenfalls wird die GSoA gemeinsam mit dem Grossteil der Partner der damaligen Allianz hinter der Korrektur-Initiative das Referendum ergreifen, sollte dieses Schlupfloch vom Parlament genehmigt werden. 


Wiederausfuhr an die Ukraine – mitnichten

Vorab: Die GSoA setzt sich dafür ein, dass das Völkerrecht auch im Ukraine-Krieg Bestand hält und stellt sich deshalb mit aller Kraft gegen den Aggressor Putin und auf die Seite der angegriffenen Ukraine. Im Gegensatz zur FDP und Co. ist uns aber bewusst, dass jegliche Auflockerung der militärischen Neutralität eine dermassen grosse innen- als auch aussenpolitische Debatte auslöst, damit Jahre verstreichen und somit die Sicht auf die wahren Hebel der Schweiz im Ukraine-Krieg vernebelt würden. Denn diese liegen bei den Sanktionen, dem Einfrieren der Oligarchengelder, dem Rohstoffhandel und auch bei der Friedensvermittlung. Gerade letztere, hochgeschätzte Rolle könnte die Schweiz nicht mehr einnehmen, sollte sie (in-)direkt Waffen in die Ukraine liefern. Das unterschlägt etwa auch das jüngst diskutierte Manifest 21

Obig erläutertes KMG-Schlupfloch ist nicht genug: In Folge des Ukraine-Kriegs entflammte eine grosse Diskussion über die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial durch andere Länder in die Ukraine. Diese Wiederausfuhr ist aufgrund des – in diesem Falle griffigen – Kriegsmaterialgesetzes nicht in allen Fällen möglich. Den Waffenlieferungen-Turbos der FDP und Co. war dies ein Dorn im Auge. Auch die SP bewegte sich in dieser Frage vorsichtig, da ein Teil der nationalen Parlamentsfraktion Waffenlieferungen an die Ukraine durch die Schweiz in der heutigen Situation nicht abgeneigt scheint. Nicht zuletzt gab und gibt es Druck aus dem Ausland, namentlich von Deutschland oder Spanien, welche CH-Waffen gerne in die Ukraine hätten liefern wollen, dies aber nicht durften. Dies brachte parlamentarisch den Stein ins Rollen. Im Sommer 2023 etwa standen in der parlamentarischen Session drei Geschäfte zur Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes an, die eine erleichterte Wiederausfuhr (bestenfalls in die Ukraine) ermöglichen sollten. Wir als GSoA kommentierten folgendermassen: “Einzelne Vorstösse würden der Ukraine nichts nützen, jedoch Exporte zum Beispiel an Saudi-Arabien vereinfachen.” Das heisst, ob man nun für oder gegen die Weitergabe von CH-Waffen in die Ukraine ist, zeichnete sich bald ab, dass man einen Kuhhandel einzugehen droht. Die Frage lautete insofern auch: Wie kann man diese Wiederausfuhr in die Ukraine rechtlich hinbekommen, ohne dass andere Wiederausfuhren automatisch auch erlaubt würden, die nicht dem Willen der Schweiz entsprechen? Eine schier unmögliche Aufgabe. Infolge der Annahme der Motion 23.403 durch die entsprechende Kommission im Mai 2023 wurde eine Subkommission eingesetzt, die verschiedene Optionen zur Wiederausfuhr prüfte. Ein Jahr später, also im Juni 2024,  kam es zum Durchbruch und eine Kommissionsmehrheit entschied sich für folgende Variante: 

Die Änderung zusammengefasst: Nach 5 Jahren soll die Nichtwiederausfuhr-Regelung aufgehoben werden, wenn entsprechende Kriterien erfüllt sind. Und an ebendiesen scheiden sich die Geister. Zwar liesse sich damit wohl die Ukraine beliefern, aber eben auch andere Drittstaaten, bei denen diese Wiederausfuhr heute nicht möglich ist, bspw. Saudi-Arabien. Heute ist es ausgeschlossen, neue CH-Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien zu liefern (Ersatzteile nach wie vor erlaubt, siehe oben). Mit dieser Lockerung der Nichtwiederausfuhr-Regelung wäre Tür und Tor geöffnet, dass z.B Grossbritannien nach 5 Jahren CH-Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien liefert, da diese frei nach Art. 18, 3a nach eigener Analyse zu Schluss kommen, völkerrechtlich auf ein Verteidigungsrecht zu berufen, weil jenische Akteure saudische Ölfelder angreifen. Dies, um nur ein Beispiel zu nennen. Folglich wird klar, dass diese Lockerung – gerade von Seiten Sozialdemokrat*innen – gut gemeint sein mag, aber am Ende ein unkontrollierbarer Boomerang wird, da Schweizer Kriegsmaterial sehr widerspruchslos in diverse Kriegsgebiete geliefert wird. Wer glaubt, dann die Kontrolle zurückerlangen zu können, irrt. Gebetsmühlenartig dürfen wir also wiederholen: Der unbekannte “Nutzen”, der diese CH-Waffen für die Ukraine bringen mag (das Wort Nutzen und Waffen in einem Satz erscheint sowieso widersprüchlich), wird absolut überschattet von den diversen Schlupflöchern, die andernorts entstehen. Entsprechend wäre die Ukraine erneut nur Vorwand, um der Rüstungsindustrie neue Profite zu generieren.


Plötzlich vergessen, wer Putin jahrelang aufrüstete

Ungeachtet der technischen und rechtlichen Details: Für die Kapitalist*innen der FDP und der Rüstungslobby stellen diese Lockerungen eine Flucht nach vorne dar. Um keinen Preis wollen sie darüber sprechen, wer Putin aus der Schweiz jahrelang aufgerüstet hat. Seien es finanzielle Machenschaften über Rohstoffhandel oder tiefe Steuern oder sei es die Dual-Use-Güter in russischen Waffensystemen, die dank einem Vorstoss von Karin Keller-Sutter (damals Ständerätin) möglich blieben. Die gespielte Ukraine-Solidarität ist eine Mischung aus Überspielen der dunklen Vergangenheit und ein Ausschau halten nach neuen Profitmöglichkeiten mit der Rüstungsindustrie.


Fazit

Die Aufrüstungshysterie hat das Kriegsmaterialgesetz, welches dank der GSoA in den letzten Jahren peu-a-peu verschärft wurde, voll getroffen. Niemand scheint mehr nüchtern zu betrachten, was der Ukraine aus Schweizer Sicht wirklich helfen würde. Stattdessen wird das Kriegsmaterialgesetz blind gelockert. Das ist absurd. Doch das letzte Wort ist nicht gesprochen: Die GSoA scheut den Showdown gegen die Rüstungslobby nicht und wäre bereit, mögliche Referenden zu ergreifen.