Diese Angriffe sind nicht neu und schon vor Kriegsausbruch war der Zivildienst der Stahlhelmfraktion ein Dorn im Auge. Leider wurden es im Bundeshaus dadurch aber mehr Leute, die den Zivildienst als Sündenbock für «Probleme» bei der Armee verantwortlich machen.
Als Argumentationsgrundlage für die Angriffe auf den Zivildienst wird sich stets dem Narrativ des Alimentierungsproblems der Armee bedient. Dies obwohl die Armee nach wie vor widerrechtlich zu gross ist und keine klare und transparente Grundlage besteht, weshalb die Armee in einen Unterbestand rutschen sollte.
Bereits 2019 diskutierte das Parlament über Verschärfungen im Zivildienst. Das Narrativ der Alimentierungsprobleme der Armee ist älter als der Ausbruch des Kriegs in der Ukraine. Ziel war es, durch willkürliche abwertende Massnahmen, Abgänge vom Militär- zum Zivildienst zu verringern. Glücklicherweise wurde diese Vorlage in der Schlussabstimmung vom Parlament 2020 abgelehnt. Aber: Keine zwei Jahre später, reichte die SVP eine Motion mit sechs von acht der damals thematisierten Massnahmen wieder ein und zwar im selben Wortlaut. Man stelle sich vor, wie die Politik tobte, würde eine kürzlich abgelehnte Vorlage beispielsweise zum Thema Klimaschutz erneut eingereicht. Im Zuge des Ukraine-Kriegs war dies jedoch kein Problem und daher wird die fast identische Vorlage zur Abwertung des Zivildienstes erneut ins Parlament kommen.
Obwohl das Bestandsproblem der Armee konstruiert ist, reicht es aus, um den Zivildienst in eine Sündenbockrolle gegenüber der Armee zu stellen. Dabei lesen und hören wir im Rahmen unserer Soldatenberatung täglich von den Verhältnissen im Militär: Stundenlanges Warten, Beschäftigungstherapie, Kollektivstrafen zur Beschäftigung, Tanks leerfahren und Munition verschiessen, damit das Budget wieder gesprochen wird. Doch statt die eigenen Verhältnisse und Umgangsformen zu überdenken, gibt man dem Zivildienst die Schuld. Interessanterweise spricht die Armee immer wieder von Verbesserungen, beispielsweise von Jokertagen. Dies ist jedoch ein Hohn. In unserer Soldatenberatung hören wir immer wieder von Personen, die sehr gerne Dienst leisten würden, aber beispielsweise selbständig sind und von der Armee keinerlei Verständnis erhalten und nur Steine in den Weg gelegt bekommen. Obwohl sich die Armee im Rahmen der Olympischen Spiele in Paris mit ihrer Sportausbildung brüstete, kennen wir mehrere Fälle von Leuten, die ihre Sportkarriere wegen der Armee beinahe an den Nagel hätten hängen müssen.
Selbst wenn also den Dienstleistenden zunehmende Abgänge in den Zivildienst nicht verübel könnte, so sind diese – entgegen der Behauptungen der Armee – seit der Einführung der WEA (Weiterentwicklung der Armee) stabil. Diese Grafik zeigt dies, gemessen am relevanten Effektivbestand der Armee:
Auffallend bei all dem ist, dass der Zivildienst praktisch nie gewürdigt wird, weder von Politiker*innen aus dem Parlament, noch vom Bundesrat. Im Bericht zur oben beschriebenen Abwertung des Zivildienstes wird der Zivildienst lediglich als Problemstifter dargestellt. Dass der Zivildienst tagtäglich einen riesigen und unverzichtbaren Beitrag in unserem Schulsystem, Gesundheitssystem oder in der Naturpflege leistet und damit einen erheblichen Beitrag zur Sicherheit in diesem Land leistet, wird verschwiegen. Das ist nicht nur aus dem Aspekt fehlender Wertschätzung stossend, sondern ein Verschweigen von Tatsachen und damit bewusste Einseitigkeit in der Beurteilung. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Lehrmittel zum Thema “Sicherheits” des Bundes, in dem der Zivildienst einfach mal vergessen ging.
Neben all diesen Anpassungen laufen schon länger Anstrengungen, um das Dienstpflichtsystem in der Schweiz anzupassen. Ursprünglich waren vier Modelle vorgesehen, worunter auch stark liberalere vorhanden waren, etwa solche, die praktisch eine freie Wahl nach der Art der Dienstpflicht vorgesehen und unter Umständen auch freiwilliges Engagement in Vereinen angerechnet hätten. Spätestens seit dem Krieg und dem Alarmschlagen durch die Armee war jedoch klar, dass nur die zwei Modelle weiterverfolgt werden, die mit mehr Zwang arbeiten. In aller Kürze: Entweder müssen künftig alle Schweizer Bürger*innen Dienst leisten oder es bleiben weiterhin nur die Männer, aber Zivildienst und Zivilschutz werden zusammengelegt. Diese Änderungen wären hochproblematisch, denn auch sie stehen im Kontext des Narrativs des Militärs, dass sowohl für die Armee wie auch für den Zivilschutz ein Bestandsproblem bestehe. Weshalb die Ausweitung von Dienstpflicht auf Frauen unsinnig ist und nichts mit Gleichstellung zu tun hat, lest ihr hier.
Übrigens: Die Zusammenlegung von Zivildienst und Zivilschutz wollte die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats bereits im Voraus schon umsetzen, um den Zivilschutz-Bestand zu sichern. Weshalb das für den Zivildienst eine Katastrophe wäre, kann man hier nachlesen. Glücklicherweise zeigte der Bundesrat für einmal Vernunft, stellte sich wegen der laufenden Abklärungen gegen den Vorstoss, der dann auch vom Parlament abgelehnt wurde.
Dass der Zivilschutz gegenüber dem Zivildienst als wichtig empfunden wird, äussert sich auch in der bereits vernehmlassten Vorlage, nach der Zivildienstleistende für den Zivilschutz aufgeboten werden können sollen, sofern letzterer einen Unterbestand vorweist. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, nimmt jedoch Einsatzbetrieben, die auf Zivildienstleistende angewiesen sind, sämtliche Planungssicherheit. Ausserdem ist das Problem beim Zivilschutz von der Armee verschuldet: Durch die Senkung der Dienstdauer und der Einführung der differenzierten Tauglichkeit, nach der Personen, die vorher im Zivilschutz eingeteilt wurden, nun in die Armee gehen, fehlen dem Zivilschutz Personen, die nun in der Armee sind (das schreibt der Bundesrat in der Botschaft). Die Armee ist also nicht nur selbst schuld, sondern weist einen widerrechtlichen Überbestand aus, trotzdem soll der Zivildienst das Problem beim Zivilschutz lösen. Das ist schlichtweg absurd und ein weiterer Beweis eines gezielten Angriffs auf den Zivildienst.Fazit: Der Zivildienst muss – egal wie konstruiert die Argumente sind – für die Probleme anderer Institutionen der Dienstpflicht herhalten. Anstatt dass man sich grundlegend Gedanken machen würde, woran es liegt, dass Leute in den Zivildienst wechseln und man eventuell auf einer ganzheitlichen Ebene ansetzen müsste, wird mit mehr Zwang versucht, das «Problem» zu lösen. Welches Problem damit genau gemeint ist, ist schwer zu sagen, da auch die von der Armee beschworenen Probleme von angeblichem Unterbestand nicht nachgewiesen werden können.